Mittwoch, 20. August 2014

Bremen Wissenschaftsplan 2020

Der Esel aus Wesel ist schon weiter als das Bremer Grautier.  

Bremen hat den Wissenschaftsplan 2020 veröffentlicht. Erwartungsgemäß war niemand so richtig begeistert. Das ist jetzt erstmal nicht ungewöhnlich - es ist für die Politik nicht leicht, es allen recht zu machen, und zur Bildungspolitik haben viele Menschen eine Meinung (wenn auch nicht immer eine fundierte, gut begründete). Dass aber Hochschullehrende gemeinsam mit Studierenden protestieren, ist dann doch eher ungewöhnlich.
Was also steht in diesem Plan? (Erinnert die Benennung eigentlich noch jemanden an sozialistische 5-Jahres-Pläne? Planwirtschaft hat schon für die Wirtschaft nicht so dolle funktioniert... ob das bei Bildungsaufgaben besser geht?)
Wenn man sich durch die teilweise erschreckend hohlen Phrasen von  einmal durchgearbeitet hat, werden einige Dinge mit erstaunlicher Deutlichkeit gesagt:
1. Die Mittel werden eingefroren. Man ist stolz darauf, dass sie nicht sinken. Da zugleich Kosten steigen (Tarifsteigerungen etc.) führt das zu einem faktischen Stellenabbau bei gleichzeitig steigenden Studierendenzahlen.
Investitionen in die Zukunft sehen anders aus.
Nun ist Bremen bekanntlich klamm. Das liegt auch daran, dass viele der gutverdienenden Bremer ihre Steuern im Umland zahlen, wo sie ein Haus im Grünen haben. Mittel nicht kürzen zu müssen könnte also für die Senatorin bei den Haushaltsverhandlungen schon ein Erfolg gewesen sein. Was kann sie noch tun? Genau: sparen. Und hier offenbart sich der eigentliche Mangel des Wissenschaftsplans.
2. Profilbildung. Die Bremer Hochschulen haben in den letzten Jahren erfolgreich ihre Stärken ausgebaut, Exzellenzcluster gebildet, Kooperationen begonnen, Forschung vorangebracht - übrigens besonders stark in den stets als "Problemkind" behandelten MINT-Fächern. Nun sollen sie dieses Profil ausbauen - das ist ok, man sollte nach seinen Stärken spielen. Zugleich sollen aber alle anderen Fächer, vor allem die kleinen, wenig nachgefragten, komplett auf den Prüfstand gestellt werden. "Wenig nachgefragt" heißt dabei leider immer explizit "vom Arbeitsmarkt nachgefragt". Und genau das halte ich für problematisch. Universitäten und Hochschulen sind nicht dazu da, ausschließlich für den Arbeitsmarkt auszubilden. Zum einen, weil dieser sich und seine Bedarfe laufend verändert. Zum anderen, weil Hochschulabsolventen neue Impulse in die Betriebe bringen sollen. Dazu müssen sie aber neues und anderes Wissen in die Unternehmen tragen als dort ohnehin vorhanden ist. Auch das fällt unter Diversity (nicht nur ethnische oder geschlechtliche Vielfalt).
Auch sollen "doppelte" Angebote, also Studiengänge, die von mehreren Hochschulen angeboten werden. zusammengelegt werden. Dies finde ich erstaunlich, denn offenbar sind sie ja alle ausgelastet. Auch ergibt das nur Sinn vor der Annahme, dass die Ausbildung an Universitäten und Fachhochschulen nicht nur gleichwertig ist, sondern auch die gleichen Ziele verfolgt. Und diese Annahme ist nicht richtig - oder war es nicht. Seit der Bologna-Reform hat sich das geändert.
3. Fehler in der Bologna-Reform. Der große Fehler in der Bologna-Reform ist m. E. nicht, dass man die Abschlüsse geändert hat (obwohl man sich schon fragen kann, ob das nötig war), sondern dass man die Chancen des ausdifferenzierten deutschen tertiären Bildungssystems dabei nicht beachtet hat.  
Universitäten, die mit dem Ziel angetreten waren, Akademiker auszubilden, waren immer forschungsorientiert. Die berufliche Praxis, für die sie ausbildeten, war die akademische Praxis. Dass die Lehre auch für zukünftige Akademiker aus didaktischer Perspektive oft noch ausbaufähig war, will ich nicht bestreiten - aber das war die Aufgabe der Universitäten, und das haben sie gut gemacht.
Fachhochschulen, Berufsakademien, Pädagogische Hochschulen etc. hingegen waren immer praxisorientiert. Forschung spielte eine geringere Rolle, dafür war der Kontakt in die Wirtschaft gut, die Lehre war anwendungsbezogen. Genau das, was "die Wirtschaft" angeblich forderte, und was die Universitäten, nach eigenem Selbstverständnis und Bildungsauftrag, weder liefern konnten noch wollten. Zugleich standen die Absolventen in der Hierarchie (meßbar an Gehaltsstufen) aber deutlich niedriger als die "richtigen" Studierenden (die also doch irgendetwas besser können mussten)...
Zwei parallel existierende Bildungsinstitutionen, mit klaren (didaktischen) Profilen, unterschiedlichen Bildungsaufträgen und Zielgruppen. Logisch wäre es nun gewesen, beiden  Institutionsformen zu helfen, diese Profile zu schärfen: Die Universitäten hätten nur forschungsorientierte Studierende aufgenommen, also sich auf "unpraktische" liberal arts, alle Staatsexamen (z.B. Jura) sowie Master und Doktorandenausbildung konzentrieren können. Die Fachhochschulen hätten die deutlich berufsbezogenen Studiengänge übernommen, in denen sie ohnehin schon stark waren, und diese bis zum Bachelor geführt - die talentiertesten hätten zum Master an die Universitäten wechseln müssen.
Stattdessen bekamen die Universitäten den Auftrag, mehr Praxis in ihre Lehre zu bringen (womit sie überfordert waren und teilweise immer noch sind, und zwar ganz nachvollziehbar und verständlich), während die Fachhochschulen auf einmal mehr forschen sollten (forschendes Lernen ist auf einmal ganz groß) - etwas, wofür sie nie ausgerichtet waren. Um die Profile noch weiter zu verwischen, heißen die FHs jetzt alle "Hochschule" oder gar "University of applied sciences" (obwohl "science" nur die Naturwissenschaften bezeichnet), und neuerdings wird immer mehr auch über ein Promotionsrecht gestritten (als bräuchten wir mehr Promovierte...) - ein klarer Versuch, sie in der Hierarchie mit den Universitäten gleichzustellen. Dennoch macht sie das -notgedrungen- nur zu Universitäten zweiter Klasse - besser wäre es gewesen, sie in ihrem Profil zu stärken und ihnen dafür im gesellschaftlichen Diskurs mehr Anerkennung zu geben.
Nachdem nun also die ursprünglichen Profile "Forschung" vs "Praxis" erfolgreich vermischt wurden, sollen die Hochschulen neue Profile bilden, diesmal auf der Basis von Inhalten, also Fachdisziplinen. Und hier kommt das größte Problem.
4. Keine bildungspolitische Vision. Im Wissenschaftsplan 2020 wird ausdrücklich nur solchen Disziplinen eine Existenzberechtigung eingeräumt, für die "ein regionaler Bedarf ... seitens des Arbeitsmarktes besteht" (S. 25). Das ist gleich mehrfach problematisch: zum einen können wir den regionalen Bedarf nicht für mehrere Jahre in die Zukunft absehen (was passiert denn, wenn z.B. AIRBUS ebenfalls "Profilbildung" betreibt, und das Bremer Werk schließt, oder bspw. mit Stade zusammenlegt? Wird dann auch der Studiengang Luft-und Raumfahrttechnik geschlossen?). Zum anderen sollte die Politik, und vor allem die Bildungspolitik, nicht den Realitäten hinterherlaufen, sondern sie entwickeln und mitgestalten. Hochschulen können unternehmerisches Denken und Handlen fördern und unterstützen, aber die Geschäftsideen kommen von kreativen jungen Absolventinnen und Absolventen - und aus allen Fachrichtungen.
Auch in anderer Hinsicht vermisst man eine vorausschauende Weichenstellung - Stichwort: digital literacy. Während eine große Mehrheit der Deutschen Informatik als Pflichtfach an den deutschen Schulen fordert, unternimmt Bremen nichts, um zukünftige Generationen mit Grundkompetenzen für das Verständnis, geschweige denn die Gestaltung des digitalen Wandels auszustatten. Zuerst einmal müssten natürlich Lehrer/innen ausgebildet werden, dann Lehrpläne entwickelt, dann - in frühestens fünf Jahren - flächendeckender Informatikunterricht eingeführt werden. Das wäre auch ein Impuls für die Schulpolitik.
Natürlich muss nicht jeder später Informatik studieren und Programmierer/in werden - "literacy" steht für "Alphabetisierung", also lesen und schreiben lernen. Danach muss man kein Poet oder Literaturwissenschaftlerin werden. Es wäre fatal, wenn unsere Kinder als Digital Natives die digitale Welt, in die sie hineingeboren werden, nicht verstehen und beherrschen lernten. Für uns ist es (vielleicht) zu spät.
Aber der Wissenschaftsplan soll ja die Zukunft gestalten. Er verwaltet sie nur.

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Bildquelle: http://www.kdg-wesel.de/typo3temp/pics/Konny_der_Esel_1c878a7934.jpg

Samstag, 22. März 2014

Das Lied vom Fachkräftemangel - Symphony of Science

Da zerbrechen sich die Damen und Herren wer-auch-immer den Kopf, weil angeblich Fachkräfte fehlen, aber wen genau sie damit meinen, das sagen sie nicht.
Altenpfleger_innen werden sicherlich gesucht. Bei Akademiker_innen ist es schon nicht mehr ganz so einfach - man will Ingenieur_innen. Informatiker_innen. Naturwissenschaftler_innen. Kurzum, die MINT-Fächer, und da - angeblich - gerne auch Frauen.

(Im Moment zweifle ich das noch ein bißchen an, weil die MINT-Branche immer noch so ein selbstverstärkendes Ökoystem ist: Es ist ein männerdominiertes Feld, das ist für Frauen nicht attraktiv, sodass es männerdominiert bleibt... Und bisher herrscht auch keine rechte Willkommenskultur (für niemanden, Geschlecht egal), weil man sich so sozialdarwinistisch gibt. Oder sollte ich sagen: mathematik-darwinistisch? Jedenfalls: die paar armen Gestalten, die gerne ein MINT-Fach studieren möchten, werden in den ersten Semestern so stark ausgesiebt und so wenig unterstützt, dass ein bis zwei Drittel das Studienfach abbrechen oder wechseln. Und darauf sind sie dann auch noch stolz, weil ja nur "die Besten" übrigbleiben. Also, wenn wir wirklich einen MINT-Nachwuchsmangel hätten, dann könnte man sich ein solches Vorgehen eigentlich nicht leisten.
Nein, ich meine nicht, dass man die Ansprüche senken sollte. Aber man kann die Studiensituation verbessern. Wenn ich Kindern das Schwimmen beibringe, dann schmeiße ich sie auch nicht (mehr) ins tiefe Wasser und verleihe allen, die nach 30 Minuten nicht ertrunken sind, das "Seepferdchen". Vielmehr hole ich mir ausreichend qualifizierte Schwimmlehrer und starte mit Schwimmflügeln und einfachen Übungen im flachen Wasser. An den Anforderungen für die "Seepferdchen"-Prüfung ändert das nichts - aber die Wahrscheinlichkeit, dass die jungen Schwimmschüler_innen a) überleben b) weiter Spaß am Schwimmen haben c) den Freischwimmer machen möchten -- die steigt.Auf dem Weg zu olympischem Gold/dem Physik-Nobelpreis dünnt sich das Feld dann ganz von alleine aus. Aber mit echten Nobelpreisträger_innen kann "die Wirtschaft" wahrscheinlich ohnehin nicht viel anfangen - dort reichen meist kompetente "Schwimmer_innen" aus.)

Und wie begeistert man die Menschen für die Großen Naturwissenschaftlichen Fragen?
Mit Musik und Sprechgesang!


Wenn Du einen Apfelkuchen backen willst, musst du erst das Universum erfinden!
http://symphonyofscience.com

Donnerstag, 9. Januar 2014

Das Buch im Zeitalter des Internets.

Ein Buch  zu schreiben ist schon schwierig. Ein Buch zu veröffentlichen ist noch viel schwieriger.
So weit die Binsenweisheit.
Und sie gilt natürlich nur für den "richtigen" Buchmarkt.

"Buch" heißt dann: von einem Verlag betreut (Lektorat, Layout, Marketing), auf Papier gedruckt, zwischen Buchdeckel gebunden, und mit ISBN-Nummer versehen im Buchhandel erhältlich.
Der Autor/die Autorin kann sich im Falle einer solchen Kooperation mit einem Verlag auf das eigentliche Schreiben des Textes konzentrieren. Man reicht beim Verlag ein Exposé ein, erhält einen Vertrag und einen Vorschuss, schickt irgendwann einen Rohtext, der mehr oder weniger stark lektoriert wird, und der Verlag kümmert sich um den Rest: Marktanalyse (will das jemand lesen? kann man damit Geld verdienen? Gibt's das schon?), Marketing, und technische Details wie Layout, Papierwahl, Drucktype etc.
Diese Arbeitsteilung scheint sich über die Jahrhundert bewährt zu haben, und offenbar können sowohl Buchverlage davon leben, als auch die Autorinnen und Autoren. Letztere bekommen, so stellt man sich das vor, einen Vorschuss und mindestens bei mehrfachen Auflagen eine Gewinnbeteiligung in Form von Tantiemen, erstere können nicht nur ihre eigenen Gehälter zahlen, sondern auch die der am Buchentstehungsprozess beteiligten Personen: Lektoren, Layouter, Drucker, Buchhalter, Marketingfritzen etc.Der Buchmarkt boomt, entgegen aller Krisen des Gutenberguniversums, denn Menschen kaufen und lesen nach wie vor Bücher, nicht wenige davon erstaunlich schlecht und unnütz.

Der buchschreibende Nachwuchs weiß natürlich, dass die große Hürde ist, überhaupt von einem Verlag angenommen zu werden - zumal es da noch die Hackordnung unter den Verlagen gibt. Es gibt wichtige, ernsthafte, seriöse, große Verlage - und kleine, feine, schöngeistige Nischenverlage - und natürlich auch Schundverlage.
Und, in Zeiten  des Internets, natürlich book-on-demand, vanity-Verlage und Blogs, und vielerlei weitere Möglichkeiten, sein Geschreibsel zu "publizieren", wobei in diesen letzeren Fällen die Publikationshürde zwar erfreulich niedrig ist, aber auch niemand die Qualität der Texte begutachtet (mit allen Vor-und Nachteilen) und der Autor/die Autorin auf einmal allerlei Aufgaben (Layout, Lektorat) selber erfüllen oder zumindest selber bezahlen muss, für die andere Menschen eine dreijährige Fachausbildung absolviert haben. Das kann natürlich gut gehen. Muss aber nicht. Dennoch rät das "Handbuch für Autoren" von diesem Weg ab - wer ein gutes Buch schreiben kann, der kann dafür auch einen seriösen Verlag finden. Dem Autor/der Autorin alle Kosten aufzudrücken ohne ein wie auch immer geartetes Gehalt zu zahlen sei hingegen unseriös - von solchen "vanity publishern" solle man sich fernhalten.

Ein guter Rat, es sei denn, man ist Wissenschaftler/in, und per Promotionsordnung zur Publikation der Forschungsergebnisse (=Doktorarbeit) gezwungen. Je nach Disziplin ist es da mit einem Aufsatz in einer Fachzeitschrift nicht getan, auch Onlinepublikationen werden (noch) nicht gebührend innerhalb der Fachgemeinschaft wahrgenommen - oft zählt, gerade in den Geistes-  und Kulturwissenschaften, nur das Buch, in seiner oben beschriebenen Form.
Der Autor/die Autorin wird damit automatisch zum leicht erpressbaren Bittsteller. Zwar können die (renommierten) Verlage die Manuskripte ablehnen, selbstverständlich können sie das. Wenn sie aber zusagen, heißt das nicht, dass man nun seine Arbeit als Rohtext einreicht, ein Lektorat erfolgt, bei dem die akademische Sprache etwas gelindert oder der Fußnotenwald etwas gelichtet wird.
Man bekommt vielmehr einen Vertrag, in dem man alle Autorenrechte abtritt (inklusive Film-,Fernsehen und Audioversionen) und den Auftrag, einen "Druckkostenzuschuss" einzuwerben. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich der geforderte Betrag (was ist überhaupt ein Zuschuss - etwa ein Drittel? die Hälfte? Zwei Drittel?) nicht nur als volle Übernahme der Druckkosten, sondern auch als volle Übernahme sämtlicher Kosten, die der Verlag hat.

(Zum Teil wird dabei sogar noch willkürlich ein Aufschlag erhoben, der sich mit tatsächlich entstehenden Kosten nicht erklären lässt. Zum Beispiel, wenn man einfach mal willkürlich für jede Abbildung (schwarz-weiß!) 5,- Euro Aufschlag verlangt. Letzteres ließe sich für den Vertrag begründen mit dem nötigen Layout (das aber der Autor/die Autorin macht), oder (früher mal) dem Rastern (das aber seit Digitaldruck nicht mehr nötig ist), oder Bildrechten (die der Autor/die Autorin kaufen müsste und deren Nachdruck ohnehin in s/w und bei enstprechend geringer Größe als Bildzitat rechtlich unbedenklich wären). Oder aber mit dem teueren Druck, nur dass es eben keinen Cent mehr kostet, eine Seite mit S/W-Text oder S/W-Bild zu drucken. (Ich spreche nicht von Farbdruck, das ist ein ganz anderes Thema.) Kurzum: willkürlich. Macht in meinem Fall, denn ich schreibe dies natürlich nicht zufällig auf, fast 1800,- Euro.)

Das gesamte wirtschaftliche Risiko wird also auf den Autor/die Autorin abgewälzt. Als "Entlohnung" werden Belegexemplare und der zu erwartende Scheck der VG-Wort in Aussicht gestellt. Und natürlich gibt es endlich die ersehnte Urkunde, Ruhm und Ehre, und von der Steuer lässt sich das alles natürlich auch absetzen. Hurra.

Vanity Publishing in Reinform. 
Oder man macht es eben doch online.