Samstag, 24. Oktober 2015

Zu Besuch im Containerdorf.

Heute war ich zu Gast im Containerdorf.
Die Freundin, der ich erzählt habe, dass ich mal DaF unterrichtet habe, hat mich beim Wort genommen. Heute hat sie mich drei jungen Frauen aus Eritrea vorgestellt, die sich vor 8 Monaten zu Fuß auf den Weg gemacht haben. Eine von den dreien war die ganze Flucht über schwanger und hat gleich nach ihrer Ankunft hier ein kleines Mädchen geboren. Mit dem Vater ist sie nicht verheiratet. Wer er ist? Wo er ist? Ob er auch ein Flüchtling ist? Ob das Kind in gegenseitiger Liebe gezeugt wurde? - keine Ahnung, und ich werde auch nicht fragen. Es geht mich nichts an. Aber ich kann mir kaum vorstellen wie es gewesen sein muss, zwei junge Frauen, Anfang 20 erst, gemeinsam auf der Flucht (die dritte kam erst hier in Deutschland dazu), dazu zu die Schwangerschaft... alleine in einem fremden Land, in dem man die Sprache nicht spricht, ein Kind zu bekommen...
Immerhin dank dieses Kindes, musste sie nur zwei Nächte in der Zeltstadt wohnen, bevor sie ein Zimmer im Containerdorf bekam - ein Doppelzimmer, ganz allein für sie und ihr kleines Töchterchen. Die Freundin, die sie die ganze Zeit begleitet und unterstützt hat, durfte auch ins Containerdorf, aber sie muss ihr Zimmer wahrscheinlich demnächst mit einer Fremden teilen. Unterbringungsmöglichkeiten sind rar geworden in den letzten Monaten.
Heute wurde zur Feier irgendeines Heiligen ein Festmahl aufgetischt. Die jungen Frauen haben gekocht - es gibt Pfannkuchen, die als Löffel dienen für die Linsen, das Kohlgemüse und das Fleisch in Paprikasauce. Höllisch scharf, aber köstlich! Wir sitzen beisammen und fremdeln ein bisschen, die Verständigung ist noch schwierig. Ein etwas älterer Mann, schon vor 27 Jahren aus Eritrea hierher gekommen, kann übersetzen und erzählt von den vergleichsweise komfortablen Umständen seiner Einreise nach Deutschland, damals. Er konnte sich den Schlepper aussuchen, kam mit dem Flugzeug, zahlte erst nach der Landung in Frankfurt. Heute zahlt man das fünffache im Voraus und geht zu Fuß teilweise durch Kriegsgebiete - Sudan, Libyen, Syrien, Libanon...
Die Stimmung ist gut. Alle sind etwas schüchtern, aber das Zimmer ist hell und sauber und hat eine Tür, die man schließen kann, um einmal für sich zu sein. Jetzt aber ist es voller Menschen, die einfach froh sind hier zu sein - und nicht mehr dort. Sie wollen Deutsch lernen, in die Schule gehen, arbeiten. Sie müssen warten. Schon die Registrierung ist zeitaufwendig. Bis ein Asylantrag gestellt werden kann, vergehen Monate. Bis über ihn entschieden wir vergeht noch mehr Zeit. Zeit, in der sie wenig tun können - denn woher den Sprachkurs nehmen, den man bräuchte, um in irgendeiner Form am Leben teilhaben zu können?
"Meine" Mädchen haben Glück. Sie haben einen gut integrierten Landsmann getroffen, der ihnen mit den Papieren und Behördengängen hilft. Sie haben meine Freundin getroffen, die ihnen mit dem Baby hilft (sie ist Hebamme) und sie zum Essen einlädt und auf den Rummel. Und die mich angesprochen hat, ob ich den drei Mädels nicht Deutsch beibringen könnte. Ich kann. Montag fangen wir an.

Donnerstag, 22. Oktober 2015

#bloggerfürflüchtlinge

Schon vor zwei Monaten, am 23. August las ich zum ersten Mal von der Aktion "Blogger für Flüchtlinge". Gleich mehrere Blogger in meiner Filterblase beteiligten sich bzw. waren gleich unter den Mitgründern der Aktion. 
Andere wiederum berichten regelmäßig auch ohne den Hashtag #bloggerfürflüchtlinge über Flüchtlinge und Vertriebene in Hamburg, in Deutschland, in der Presse.
Die Nachrichten sind voll davon und jeder hat eine Meinung.
Glücklicherweise ist die Meinung in meiner direkten Umgebung schlimmstenfalls zurückhaltend-indifferent. Vielleicht liegt es daran, dass unsere familieneigenen Flucht-und Migrationserfahrungen weniger als eine Generation entfernt sind:
Meine Großeltern, mein Vater, mein Onkel, meine Tante wurden mit der gesamten Dorfgemeinschaft von den Russen vertrieben - das ist jetzt etwa 70 Jahre her, mit dieser Geschichte bin ich aufgewachsen. Und obwohl es nur um ca. 400 km ging in ein Land, dessen Sprache man sprach und dessen Kultur man teilte, so waren mein Vater und seine Geschwister zeitlebens entwurzelt - denn sie sind nicht freiwillig gegangen.
Mein Bruder, wie ich aufgewachsen mit Erasmus-Programm und Europäischer Union, ist nach dem Studienabschluss mit dem Umweg über Portugal nach Spanien ausgewandert, wo man als Architekt leichter Arbeit fand als in der Studienstadt Aachen - ich glaube nicht, dass er zurück kommt. (Es ist sehr schön, da in Spanien.) Auswandern, damit es ihm woanders besser geht - ein klassischer "Wirtschaftsflüchtling"! Von den drei Söhnen meiner Tante lebt einer in den USA und einer in Australien, weil sie dort Arbeit und die Liebe gefunden haben - ebenfalls "Wirtschaftsflüchtlinge"?
Und wenn schon! Sie wollen arbeiten, sie dürfen arbeiten, und so profitieren alle Seiten davon.
Das ist auch wissenschaftlich belegt. (Und wenn ich den Link wiederfinde, reiche ich ihn nach.)

Bisher hat mir gegenüber jedenfalls noch niemand geäußert, dass "wir" "das" nicht "schaffen" - entschuldigt die ganzen Gänsefüßchen, aber wer ist "wir"? was heißt "das" genau? Definiere mal "schaffen" - was soll denn das Ziel sein? Und über welchen Zeitraum?
Ich habe zwar den Verdacht, dass auch ich Verwandte, Freunde oder Bekannte habe, die sich direkt oder indirekt unwohl fühlen bei dem Gedanken an die wachsenden Flüchtlingszahlen. Bestimmt machen sich viele Gedanken darüber, wie "man" mit der Situation umgehen kann, soll oder muss. Fakt ist aber, dass nur sehr sehr wenige sich bisher persönlich damit beschäftigen wollen oder müssen - es ist immer noch sehr einfach, die konkreten Personen, die täglich in Deutschland ankommen, zu ignorieren, an ihnen vorbeizuleben, ihnen im Stadtbild aus dem Weg zu gehen.

Ich will das nicht mehr. Ich habe sogar meinen facebook-Account wieder aktiviert, weil das offenbar die einzige/beste Möglichkeit ist herauszufinden, was in meiner Stadt benötigt wird, was ich tun kann. Und ich habe einer Freundin erzählt, dass ich früher mal Deutsch als Fremdsprache unterrichtet habe. Ich habe noch Lehrmaterialien aus der Zeit, ich habe Zeit, und ich habe die Erfahrung.
Was ich nicht habe? Irgendeine Ausrede, nicht zu helfen.



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